Erfindung: Pflanzenbasierte Kunststoffflaschen
Dank der Erfindung eines cleveren niederländischen Chemikers namens Gert-Jan Gruter könnte sich die durch Plastikflaschen verursachte Umweltbelastung bald deutlich reduzieren. Jahrelang wurden Flaschen und andere Kunststoffverpackungen für Lebensmittel und Getränke aus einem Polyester hergestellt, der aus Erdöl gewonnen wird, dem PET (Polyethylenterephthalat). Mit Gruters Erfindung steht nun eine echte, umweltfreundliche Alternative in den Startlöchern, um die Branche zu revolutionieren.
Es handelt sich
dabei um ein neues Verfahren zur Umwandlung von pflanzlichem Zucker in den
chemischen Baustein Furandicarbonsäure (FDCS). Gruter gelang es, große Mengen
von FDCS zu synthetisieren. Damit löste er ein Problem, über das sich Chemiker
fast eineinhalb Jahrhunderte lang den Kopf zerbrochen hatten. Das so gewonnene
FDCS konnte er zu einem neuen, höherwertigen Polyester, dem PEF (Polyethylenfuranoat)
weiterverarbeiten. PEF hat mit herkömmlichem PET viele Eigenschaften gemeinsam:
Es ist robust, formbar und recycelbar. Aber: Zur Herstellung wird 70 Prozent
weniger Energie benötigt. Außerdem wird es aus Pflanzen gewonnen, nicht aus
Erdöl.
Dieser Durchbruch gelang Gruter in seiner Position als Chief Technology Officer
von Avantium, indem er bei der Synthetisierung von FDCS einen ganz neuen Weg
beschritt. Anstatt zu versuchen, das Molekül HMF in Wasser zu erzeugen und es
dann zu FDCS zu oxidieren - wie zahlreiche Wissenschaftler vor ihm -, nahm
Gruter eine Methanol-Lösung und erhielt auf diese Weise ein komplett anderes -
und weitaus stabileres - Molekül: das MMF. Es erwies sich als einfach zu
destillieren, zu extrahieren und zu reinigen und schließlich in großen Mengen zu
FDCS zu oxidieren.
Gesellschaftlicher Nutzen
Die Vorteile von PEF für die Umwelt liegen
auf der Hand. Dadurch, dass es nicht aus erdölbasierten Produkten hergestellt
wird, ist die Gewinnung der erforderlichen Rohstoffe mit keinerlei Risiken
behaftet. (Für PET gilt dies keineswegs: Für dessen Herstellung werden
Petrochemikalien aus Rohöl und Erdgas benötigt.) Wie PET kann auch PEF
vollständig recycelt werden; jedoch kann man PEF - im Gegensatz zu anderen
Polymeren - in kleinen Mengen zusammen mit PET recyceln, ohne dass dies
Veränderungen der damit zusammenhängenden Abläufe mit sich bringen würde. Für
ein neues Produkt ist dies ein gewaltiger Vorteil, bedeutet es doch, dass PEF
einfach im etablierten Recyclingstrom für PET "mitschwimmen" kann.
Als ein Polymer auf pflanzlicher Basis bietet PEF noch eine Reihe weiterer
Vorteile gegenüber seinem erdölbasierten Pendant. So hat es eine größere
mechanische Integrität; zur Herstellung einer Kunststoffflasche der gleichen
Größe wird daher weniger Material benötigt als bei der Verwendung von PET.
Nicht nur dadurch werden die Produktionskosten gesenkt: Es wird auch weniger
Energie für die Herstellung der Flaschen benötigt, und darüber freuen sich
sowohl die Unternehmen als auch die Verbraucher. Und das ist noch nicht alles:
PEF ist auch noch widerstandsfähiger und hat bessere Barriereeigenschaften als
PET. Das bedeutet, dass Gase wie Kohlendioxid oder Sauerstoff von einem damit
verpackten Produkt ferngehalten, oder, beispielsweise im Falle von Softdrinks,
dass sie im Produkt gehalten werden. Dies wiederum führt zu einer
längeren Haltbarkeit von Lebensmitteln und Getränken.
Wirtschaftlicher Nutzen
Der globale Markt für Kunststoffverpackungen aus PET wird aktuell auf etwa 54 Mrd. EUR (57 Mrd. USD 57) beziffert. Zwischen 32 und 37 Mrd. EUR davon entfallen auf Kunststoffflaschen. Prognosen zufolge wird diese Zahl bis 2021 sprunghaft ansteigen und dann einen Wert von 70 Mrd. EUR erreichen. Um von diesem Wachstum zu profitieren, arbeitet Avantium mit seinen Partnerunternehmen daran, die Produktionskapazitäten von PEF zu erweitern. Im März 2016 gründete es ein Joint Venture mit dem deutschen Chemieunternehmen BASF SE, um PEF-Flaschen bis 2021 auf den Markt zu bringen. Zu diesem Zweck soll in Antwerpen eine große Anlage mit einer Produktionskapazität von 50 000 Tonnen jährlich errichtet werden.
Avantium arbeitet auch mit anderen Unternehmen wie Coca-Cola oder Danone zusammen. Avantium wurde im Jahr 2000 von einem Firmenkonsortium unter der Leitung von Royal Dutch Shell als Unternehmen für Forschungsdienstleistungen gegründet. Mittlerweile hat es sich zu einem Technologieunternehmen weiterentwickelt, das erst kürzlich mit seinem erfolgreichen Börsengang eine Summe von 103 Mio. EUR einnahm und damit eine Marktkapitalisierung von 264 Mio. EUR erreichte.
Funktionsweise
Um FDCS zu synthetisieren, unterwarf Gruter pflanzliche Zucker einer sogenannten Dehydratisierungsreaktion. Diese erfolgt in Wasser - das ist entscheidend für den Erfolg der Reaktion. Allerdings entsteht dabei ein instabiles Molekül mit der Bezeichnung HMF, das schwierig zu destillieren, extrahieren oder zu reinigen ist.
Dieses Problem hatte Chemikern zu schaffen gemacht, seit man Ende des 19. Jahrhunderts damit angefangen hatte, sich theoretisch mit FDCS auseinanderzusetzen. Um dieses Hindernis zu überwinden, benutzte Gruter anstelle von Wasser eine Methanol-Lösung. Dabei entstand nicht HMF, sondern das Molekül MMF, das sich als ungleich stabiler erwies als HMF. Es zeigte sich, dass, MMF viel einfacher zu FDCS zu oxidieren war und somit große Mengen von PEF produziert werden konnten.
Der Erfinder
Was Gruter
antreibt ist der Wunsch, einen dauerhaften, positiven Einfluss auf die Umwelt
zu hinterlassen, indem er die industrielle Chemie - hier sieht er seine
Lebensaufgabe - nachhaltiger macht.
"Schon heute werden weltweit etwa 300 Millionen Tonnen Kunststoff
benutzt, und diese Menge wird sich in den nächsten 30 Jahren auf mehr als eine
Milliarde Tonnen vervierfachen", sagt Gruter. "Wenn wir von den fossilen
Brennstoffen wegkommen und nachhaltigere Kunststoffe einsetzen möchten, müssen
wir auf Biomasse setzen. Aber dafür brauchen wir neue Materialien! Das ist der
einzige Weg, diesen Wandel herbeizuführen." Dieser Wunsch hat seinen gesamten
beruflichen Werdegang geprägt.
Als Student belegte Gruter im Hauptfach "Organische Chemie" und im
Nebenfach "Neutronenaktivierung". Dann promovierte er in
metallorganischer Chemie und begann seine berufliche Laufbahn bei DSM Research
BV, wo er als Gruppenleiter für die Forschung im Bereich der
Polyoefin-Katalysatoren zuständig war. Sechs Jahre später verließ er DSM und
wechselte zu Avantium. Dort war er zunächst "VP Technology". 2004
wurde er Chief Technology Officer. In dieser Position ist er bis heute tätig.
Seit er bei Avantium arbeitet, befasst sich Gruter mit der Forschung zur
Synthetisierung von FDCS im industriellen Maßstab. Der Durchbruch kam 2008.
Seither liegt der Fokus von Avantium darauf, diese revolutionäre Technologie
gewinnbringend einzusetzen.
Im November 2016 erhielt Gruter eine Professur an der Universität Amsterdam.
Man bot ihm an, einen neuen Fachbereich für nachhaltige industrielle Chemie zu
leiten. Gruter wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. So wurde er
beispielsweise von Spinverse und EIRMA zum "European CTO of the year"
gewählt. In über 100 Patenten und Patentanmeldungen in Europa und weltweit ist
er als Erfinder oder Miterfinder genannt. Von den 64 in Europa angemeldeten
Patenten wurden 29 bereits erteilt.
Wussten Sie das?
Das Gebiet des Einsatzes von Polymeren hat schon eine ganze Reihe von Finalisten und Gewinnern des Europäischen Erfinderpreises hervorgebracht. Im Laufe der Jahre waren unter den Gewinnern namhafte Persönlichkeiten wie der in Polen geborene französische Physiker Ludwik Leibler (2015; Forschung), der selbstheilende "Vitrimere" entwickelte, der US-amerikanische Chemieingenieur Robert Langer (2016; Außereuropäische Staaten), der biologisch abbaubare Kunststoffe erfand, die mit hochwirksamen Krebsmedikamenten "beladen" in Tumore implantiert werden, Catia Bastioli (2007; KMU/Forschung) und ihr Team bei Novamon, die einen biologisch abbaubaren Kunststoff aus Stärke entwickelten, oder Jürgen Pfitzer und Helmut Nägele vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie, die einen Kunststoff erfanden, der aus "flüssigem Holz" hergestellt wird (2010; KMU).